Unsicht-Bar

Ich freute mich auf den Tag der offenen Tür im Österreichischen Blinden- und Sehbehindertenverband (ÖBSV), der entweder am "Tag des Auges" oder "Tag des weißen Stockes" stattfindet. Es werden anlässlich dazu zahlreiche Stationen eingerichtet:
Hindernisparcours
Reich der Sinne
Hilfsmittelstelle
Mobilitätstraining
Blindenhundevorführung
Unsicht-Bar
uvm.
Ich arbeitete - wie im Vorjahr - im Bereich der „Unsicht-Bar“ hinter dem Tresen und bewältigte den Barbetrieb inzwischen ganz gut. Der Name weist bereits darauf hin, dass es sich um eine Bar handelt, deshalb auch der Bindestrich in der Bezeichnung. Unsicht, weil dieser Raum völlig abgedunkelt, es also drinnen stockfinster ist. Somit werden alle Gegenstände und Menschen unsichtbar. Ich brauchte anfangs ein bisschen, bis ich mich daran gewöhnt hatte, dass es – sobald der offizielle Teil begann und wir das Licht abdrehten – schwarz um mich wurde. Weil sich meine Augen erst nach und nach von hell auf dunkel umstellten, glaubte ich noch schemenhaft sehen zu können, jedoch ein Griff nach etwas bewies sehr rasch das Gegenteil. Sehende und Sehbehinderte (ich bin sehbehindert) tun sich im Allgemeinen schwerer als blinde Menschen, für die die Welt ja stets und gewohnt unsichtbar ist. Ich gab mein Bestes und traute mich mit jeder fortschreitenden Stunde schneller und zielsicherer alle Bewegungen auszuführen. Damit die Aufnahme und Erledigung der Getränkewünsche jedes einzelnen Besuchers reibungslos funktionierte, richtete ich mir an meinem Schanktisch alles griffbereit her. Plastikbecher verwendeten wir deshalb, weil Gläser zu gefährlich wären, würden sie zu Bruch gehen. Auch im Kühlschrank musste eine genaue Anordnung aller Flaschen sein. Weißwein, Bier, Cola, Fanta, Almdudler etc. waren so gereiht, dass ich sie mit einem Griff in der Hand hatte. Fast alle Getränke sind jedoch auch gut an den Verschlüssen und der Flaschenform erkennbar. Trotzdem musste ich mir einprägen und merken, wo sich was befand, damit ich es rasch zur Hand hatte. Ich habe festgestellt, dass gar nichts sehen eine permanente Konzentration und penible Genauigkeit erfordert, was mich als nicht Geübte nach mehreren Stunden erschöpfte.

Meine Freundin Susi übernahm die Kassa. Sie kannte zwar die Geldscheine am Angreifen, hatte aber sicherheitshalber ihren Cash-Test dabei. Das ist ein flaches kleines Plastikteil, in das man den Geldschein hineinlegt und ihn anhand seiner Größe bestimmen kann. Die Münzen fühlen sich ohnedies unterschiedlich an, da sie erstens verschieden groß und an den Rändern unterschiedlich gerillt sind. Ihre Mutter (Frau Hecht) teilte vor der Türe Gruppen bis zu maximal 6 Personen ein, damit kein Gedränge oder Lärm durch lautes Stimmengewirr und damit verbunden vielleicht Angst aufkam. So konnten Susi und ich auf nahezu jeden Einzelnen eingehen, Fragen beantworten und die Menschen aufmuntern, den Raum mit Tischen und Sesseln zu erkunden. 4 - 6 Personen kann man mühelos überblicken :-) und außerdem stehen sie dann gemütlich an der Bar. Das machte das Bedienen einfacher und unsere Gäste fühlten sich in der Dunkelheit teilweise sogar wohl, was ihnen Sicherheit vermittelte. Beim Einschenken hörte ich am Plätschern, wann der Becher voll wurde, weil sich der Klang erhöhte.

Die Besucher kamen mit Augenbinde herein, damit sie durch die aufgehende Tür und das dadurch einfallende Licht nicht den Raum einsehen konnten und sich so um ihr mögliches Erlebnis brachten, diesen rein akustisch einzuschätzen, bzw. ihn gehend zu erkunden. Diesmal wurde ein Vorhang im Innenraum hinter der Tür montiert, auch dadurch wurde das Zimmer vom Stiegenhauslicht nicht ausgeleuchtet. Einige Gäste waren erst mal irritiert, blieben verunsichert wortlos stehen und waren dadurch auch unhörbar. Wir sprachen sie aufmunternd an, damit sie ihre Scheu oder mögliche Angst verloren und sich in der Dunkelheit in Richtung unserer Stimmen fortzubewegen trauten. Andere wiederum marschierten zielsicher und tapfer durch das optische Nichts. Sieht man den Reinkommenden nicht, hört man ausschließlich auf die Sprachmelodie und konzentriert sich intensiver auf den gesprochenen Inhalt. Es ist nicht von Bedeutung, wie das Gegenüber aussieht, die inneren Werte spielen von Beginn an eine maßgebliche Rolle. Außerdem fallen Gerüche mehr auf als sonst und man registriert Geräusche verstärkt, weil man mehr auf diese angewiesen ist. Sonst ist man zu sehr damit beschäftigt, Blickkontakt aufzunehmen und optische Reize lenken ab oder beeinflussen.

Ich versuchte mir die Leute vorzustellen. Wie sahen sie aus, welche Haarfarbe, welches Gesicht oder was hatten sie an? Es entstanden Bilder in meinem Kopf, die durch manchen Wortwechsel zusehends Gestalt annahmen. Wenn mich das bei einer bestimmten Person sehr interessierte, ging ich bei der Verabschiedung mit ins Helle hinaus und stellte fest, dass meine Vorstellung oft so überhaupt nicht mit der Wirklichkeit übereinstimmte. Genauso überrascht war auch oft der Besucher von mir, da er sich mich ebenfalls ganz anders vorgestellt hat.

Automatisch erzählten uns Gäste über eigene Erlebnisse und Probleme mit ihren Augen und einige berichteten von sehbehinderten oder blinden Bekannten oder Verwandten. Augenoperationen und Begegnungen mit Blinden auf der Straße waren ebenfalls Hauptgesprächsthemen, genauso was man hier im Stockdunklen empfand oder wie es war, etwas zu trinken, das man nicht sah. Einige waren richtiggehend stolz, den zwei Meter entfernten Tisch mit Sesseln gefunden zu haben, andere wagten sich nicht von der Stelle. Der Raum wirkte durch die kleinen Schritte, die man aus Unsicherheit macht viel größer, als er tatsächlich war. Man streckt die Hände nach vor, um sich vor möglichen Hindernissen zu schützen. In Summe reagierten die Menschen aufgekratzter und aufgeregter als sonst.

Alle Besucher streckten die Hand irgendwo in die Luft, wenn sie nach einem eingeschenkten Becher griffen oder zahlen wollten. Wir wiesen sie dann darauf hin, dass der Bereich, sich am Tisch zu finden wesentlich kleiner und übersichtlicher war als der in der Luft. Doch das ist die Macht der Gewohnheit, überall wird in Schulterhöhe nach etwas gegriffen oder hingelangt. In der Unsicht-Bar kann das aber im wahrsten Sinne des Wortes ins Auge gehen.

Mir machte die Arbeit Spaß, denn sie war interessant und es war direkt spannend, wie teilweise anders sich die Menschen gaben oder sprachen, wenn sie plötzlich vorübergehend blind waren. Das Wissen, jederzeit sehen zu können, nützte ihnen in der momentanen Situation nichts. Erst wenn sie die Türschnalle beim Verlassen des Raumes gefunden hatten, spürten wir ihre Erleichterung.


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Letztes Update 12. Oktober 2002
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